Die Stunde Null

Geschrieben von Ellen Skye, 30. August 2015

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Hermann Hesse

Herzlich Willkommen auf meinem Blog! Da das mein erster Artikel ist, soll es sich hier um die Kraft des Anfangs drehen. Das Leben ist voll von Anfängen, aber besonderen Reiz haben sie dort, wo wir etwas zu erreichen versuchen, was uns persönlich am wichtigsten ist.

Eine Hand hält eine Glühbirne zwischen drei zerknüllte Seiten Papier

Egal, was wir da genau tun, der Zauber des Anfangs fehlt uns später oft, weil er uns ganz gewiss ein Stück begleiten wird, aber man weiß nie wie weit das Stück reichen wird. Ich selbst kenne das aus meinem Schreiballtag. Wie lange wird uns die Inspiration tragen? Hat die Idee das Zeug, im richtigen Gewand Leser mit auf eine Reise zu nehmen? Inspiration an sich ist pflegeleicht; sie kommt von allein und ist perfekt für Anfänge gemacht. Wird sie erwachsen, muss sie sich zu etwas entwickeln, mit dem viele Strebende, nicht nur Autoren, irgendwann mal Probleme haben. Zu Disziplin, die sich noch benehmen kann wie Inspiration.

Nichts leichter als das, hm? Man sagt oft, ein Buch – oder besser ein komplexes erzählerisches Gebilde - zu schreiben, sei weniger mit einem Sprint als mit einem Marathon zu vergleichen. Das würde ich zwar unterschreiben, aber so umdeuten: es sind viele kürzere Marathons, die einer Stop-and-Go-Logik folgen. Oft geht einem auch dabei die Puste aus und so manch einer quält sich durch den Prozess. Man stelle sich vor, wie gut man das meistern könnte, wenn man bei jedem "Go!" wieder frisch wäre! Warum ist es dann manchmal so schleppend?

Meist sind Anfänge verlockend und geben uns einen Schub. Egal, was wir beginnen, es macht uns euphorisch, voller Tatendrang. Die Energie steht auf hundert Prozent und wir wissen, das wird etwas Tolles, für uns vielleicht Welt bewegendes.

Vielleicht schreiben wir ein Buch, vielleicht lernen wir ein Instrument, eine Sprache oder Sportart – vielleicht aber auch suchen wir nach einem bestimmten Sinn im Leben. In jedem Fall versuchen wir etwas zu erreichen und machen uns auf den Weg. Etwas später, auf freier Strecke dann, kann es unter Umständen nicht mehr ganz so bezaubernd sein, aber der Anfang war es allemal, so viel wissen wir noch. Die erste Idee hat sich so nahtlos überall eingefügt, es sah so einfach aus, als man andere dabei beobachtet hat oder man seiner Inspiration folgte, und man hatte es sich so gut vorgestellt, wenn man einmal da wäre.

Das Problem mit den Anfängen ist, dass sie mit ziemlicher Sicherheit irgendwann nicht mehr bezaubernd sind. Nämlich dann, wenn sie sich wiederholen. Wiederholen müssen. Dinge, die wir vielleicht gefühlt zum tausendsten Mal beginnen, weil es bisher nicht richtig geklappt hat oder unserem angestrebten Ziel noch etwas fehlt. Also müssen wir nochmal ran. Und jeder noch so betörende Zauber von "Let’s do this awesome thing" verfliegt, wenn schon etliche Versuche hinter uns liegen, mit denen wir nicht so zufrieden sind. Dabei bräuchten wir diesen Spirit der ersten Stunde gerade jetzt so dringend!

Ich denke, ihr bemerkt schon, worauf ich hinaus will. Jeder, der sich schon mit irgendeiner Art von Schreiben beschäftigt hat, weiß, dass – nur ein Beispiel - das Verfassen eines Romans oder einer in sich geschlossenen Geschichte eine ganze Menge Anfänge nötig hat. Nichts schreibt sich in einem Rutsch herunter und bleibt so stehen, damit dann alle die Genialität des kreativen Genies bestaunen können. Texte zu erstellen und besten Gewissens so stehen lassen zu können, ist harte Arbeit. Man erarbeitet eine erste Fassung und fühlt sich wie der König der Welt, wenn man meint, dass endlich alles stimmt, jeder Schritt des Plots erkennbar nachgezeichnet ist, alle Motive und Aktionen zueinander passen, die Charaktere atmen und mit uns reden und alles nun ein Anfang, ein Ende und hoffentlich ein möglichst sinnvolles Dazwischen hat.

Aber nein, kaum sind wir am Ende, sind wir wieder am Anfang, denn jetzt beginnt die eigentliche Arbeit. Der Überarbeitungsprozess – und meine Güte, das ist manchmal wie die Windpocken der Schreiberei! Man kämpft mit seiner eigenen Schöpfung, muss sich zwingen, alles in Frage zu stellen und, wenn alles nichts hilft, große Teile komplett neu schreiben oder einfach erstmal ersatzlos streichen, ohne zu wissen, was den Platz dessen einnimmt, was man gerade über den Haufen geworfen hat. Es klafft ein großes Loch und starrt einen an. Aber irgendwie schafft man es. Man läuft noch x-mal durch die Geschichte durch, kann es zum Schluss rückwärts tanzen, bis es dann endlich zum Lektor geht.

Und – wer hätte es gedacht – selbiger ist nicht dazu da, uns jetzt zu huldigen und nur mal hier und da ein Komma zu streichen oder zu setzen. Nein, er gibt uns die Außenperspektive auf den Text, die wir nunmehr gar nicht haben können, weil wir bis über den Scheitel darin versunken sind. Wer so tief drin steckt, kann gar nicht mehr von oben draufschauen. Und, wenn wir richtig Glück haben, und meistens haben wir das, dann stehen wir nach der Rückmeldung des Lektors oder der Lektorin wieder ganz am Anfang. Selbst, wenn wir nicht die Hälfte streichen müssen. Wir fangen wieder vorn an und arbeiten uns durch. Und da ist er wieder, der Anfang. Nur diesmal ohne Zauber. Weil uns jetzt nicht mehr die Muse oder reine Kreativität antreibt, sondern die Notwendigkeit, das Beste aus dem Text herauszuschleifen.

Diese Notwendigkeit kann uns den Zauber des Anfangs, der Motivation in unsere Segel bläst, ziemlich verderben. Dabei könnten wir von diesen ganzen neuen Anfängen immens profitieren, wenn wir uns immer wieder die "Null" vor Augen führen. Stunde Null. Tabula rasa. Tun wir doch so, als ob wir eben erst mit der Sache begonnen hätten. Der einzige Unterschied: Wir haben schon etwas erarbeitet. Stunde Null hat den Vorteil, dass sämtliche Möglichkeiten noch vor uns liegen. Immerhin geben wir den Ton an in unserem Universum. Wir können verflucht noch mal tun und ändern, was immer wir wollen. So oft wir wollen. Solange wir immer wieder eine neue Stunde Null setzen und das auch gerne und mit Überzeugung tun, werden wir immer eine Triebkraft für die nächste Strecke finden. Bis zur nächsten Stunde null.

Erfolgreiches Schreiben und Veröffentlichen besteht zu einem großen Teil aus dem bereitwilligen Immer-wieder-von-Neuem-beginnen. Und sich dadurch nicht die Kraft nehmen lassen. Wie so vieles im Leben ist das natürlich eine Sache der Einstellung. Eine Frage des richtigen mindsets.

Thomas Alva Edison brauchte etwa 10.000 Anläufe, um eine Glühlampe zum Leuchten zu bringen. Eine Erfindung, ohne die unser Alltag und viele andere Dinge heutzutage undenkbar wären. Nach 5000 Versuchen, Licht zu erzeugen, die nicht zum Erfolg führten, wurde Herr Edison gefragt, warum um Himmels Willen er denn nicht endlich einsehen würde, dass es nichts wird. Warum er es nicht sein ließe. Edison antwortete darauf: "Ich habe ganz einfach erfolgreich 5000 Wege herausgefunden, wie es nicht funktioniert."

Weiser Mann. Er hatte offensichtlich keine Angst vor neuen Anfängen. Der Mut, immer wieder neu zu beginnen, bringt uns letztendlich dahin, wo wir sein wollen. Kombiniert mit der Fähigkeit, Dinge zu Ende zu bringen, hält uns beides auch da – und letztendlich können wir uns damit nahezu jeden Traum erfüllen!